„Lost Chord“ präsentiert eine Ästhetik der Reduktion, die im Kanon der westlichen, dem Ausdrucksgeschehen verhafteten Künste ihresgleichen sucht. Anspielungen werden nicht verwendet, Denkrätsel den großen staatlichen Bühnen belassen. Spuren werden nur gelegt, oder, unbetreten, gezeichnet. Szene, Musik und Licht finden in seltsamer Entspanntheit statt: wie in einem japanischen Steingarten sind Material und Geschehen zunächst einfach da. Auch das Licht beleuchtet nicht, es legt mögliche Sichtweisen nahe. Nichts ist, wenn man so will, instrumental funktionalisiert. Gesten und Ideen etwa, die in der synchronen Improvisation - ein paradoxer, aber notwendiger Begriff - zwischen Bassist und Tänzerin aufkommen, werden ebenso schnell wie sie gefunden sind wieder verlassen. Kein Effekt wird ausgebeutet, kein Bild und kein Ton (seltsam antimedial) dem Zuschauer aufgedrängt. Dennoch oder gerade deshalb gibt es wohl momentan weder aus der Sicht der Tanz- noch der Musikszene ein derart eingespieltes Duo wie Müller - Baumgart, das ihnen in punkto Abwechslungsreichtum, Schnelligkeit, Präzision und auch Unterhaltsamkeit gleich käme. Ohne direkt zu zitieren, belebt „Lost Chord“ einen starken, verschüttet geglaubten Zug einer unzeitgemäßen Theatralik wieder, der ebenso präzise mit dem Anklang an Asiatisches wie dem an die letzten, fast wortlosen Spiele Becketts bezeichnet ist. Für die Gesamtproduktion gilt, was vom Film Thomas Kiesels gesagt werden kann: man schaut gebannt hin, ohne zu wissen, was man sieht. Das heißt aber auch, ohne zu sehen, was man (ohnehin) weiß - etwas Neues eben.